Donnerstag, 7. Oktober 2010
4/5/6. Oktober
Drei Tage Theaterworkshop in Bhutan. In einem Land, in dem es keine Theatertradition in unserem Sinne gibt. Nur religiöse Gesänge und Tänze. Die Gruppe macht sich gut. Sie sind auf alle Fälle motiviert und voll bei der Sache. Bhutaner sind oft sehr schüchtern, was für das Schauspiel nicht die beste Grundvorraussetzung ist. Bhutaner sind insgesamt viel zurückhaltender als Westler. Wenn die Gruppe auftritt, wird sie regelmäßig gefragt, ob sie Drogen genommen hätten oder betrunken wären, da es sehr ungewöhnlich ist, sich öffentlich so zu verhalten wie man es eben auf der Bühne tut. Konventionen zu überschreiten und Höflichkeitsformeln und Zurückhaltung abzulegen. Einige Mitglieder des Happy Valley Theatre sind wirklich begabt begabt (und es ist wirklich schade, dass sie keine professionellenEntfaltungsmöglichkeiten haben). Vor allem die, die eher – sagen wir mal – ungepflegt herum laufen, und viel trinken. Doch Sauberkeit ist hier sowieso nicht ganz groß angesagt. Auf den ersten Blick erschien mir alles unglaublich sauber, der Eindruck entstand wohl auch, weil ich gerade aus Indien gekommen war. Doch wenn man in die Seitengassen blickt, sieht man den Dreck herum liegen, die Gläser und Tische in manchen Restaurants sind von einem Schmutzfilm überzogen oder blind, die Toiletten sind ein Graus, die Menschen spucken viel, rotzen, schlürfen und schniefen, spucken meist aus, wenn sie Doma im Mund haben, die Betelnuss, die hier fast jeder kaut. Das Ding stinkt furchtbar, schmeckt furchtbar, macht den Kopf benebelt, und die Straßen dreckig, weil die Spucke davon rot gefärbt wird und die Farbe nicht mehr von der Straße geht. Weil ich gerade dabei bin, mich zu beschweren: Die Hunde nerven auch unendlich. Am Tag laufen sie einem ständig im Weg herum, nachts bellen sie die ganze Zeit. Es ist wie ein Gebellglocke, die über der ganzen Stadt hängt und erst in den frühen Morgenstunden verschwindet. Das wars aber schon mit dem Aufregen. Außerdem ist ohnehin völlig egal, was ich für eine Meinung über die Dinge habe. Es ändert nichts. Meinungen ändern nichts.



Ich bewundere noch immer die Gelassenheit der Menschen hier. Tshering erfährt am Telefon, dass er in einer halben Stunde ein Konzert eines indischen Musikers am Hauptplatz von Thimphu moderieren soll. Er bleibt völlig gelassen und macht es einfach. Es gibt nicht viel zu gewinnen und nicht zu verlieren. Da es wenig Ehrgeiz gibt, gibt es auch wenig Egoismus. Es wird viel gemeinschaftlicher gedacht. Oder andersherum: weil es keinen Egoismus gibt, gibt es keinen Ehrgeiz. Das hat zwei Seiten. Die Menschen sind einerseits entspannter, man hat hier kaum schlechte Laune, weil es nicht dieses aufgeblasene Ego gibt, das etwas erreichen will. Andererseits sind die Dinge einfach oft ohne Qualität, wie das Fernsehen, oder die Tontechnik bei einem Live-Konzert, die Straßenqualität, etc. Oder mache Dinge gibt es gar nicht oder nur rudimentär, wie Theater, gute Filme, Musikunterricht, künstlerische Ausbildungen, etc. Aber es gäbe den Königsweg, diese Dinge zu verbinden. Großes zu schaffen und gleichzeitig gemeinschaftlich zu denken.
Die Bhutaner sind im Umgang miteinander viel härter und direkter. Tshering stellt mit seine Theatergruppe vor, und sagt vor den Betroffenen jeweils Dinge, die bei uns unmöglich wären. Die eine ist etwas dicker und wird von allen Karma Feed genannt, was ein Kraftfutter für Kühe ist. Den anderen stellt er mir als Alkoholiker vor, beim nächsten sagt er, er hätte zehn Freundinnen. Hier gibt es keine falsche Verschwiegenheit. Als ich Tshering darauf anspreche und sage, bei uns wäre es unmöglich, diese Dinge so offen vor den Betroffenen zu sagen, meint er, dass das normal sei und diese äußeren Dinge auch sekundär wären.

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