Donnerstag, 2. Dezember 2010
30. November
Flughafen Berlin Tegel. Rückkehr nach Europa, Rückkehr in die Welt der Erwachsenen. Warum sind alle schwarz angezogen. Wo ist die Farbe? Alle sind so seriös. So vereinzelt. Es hat minus drei Grad. Ich laufe im dünnen Pullover zum Taxi. Ich hab keine Winterjacke mit. „Na zum Glück hab isch kräftig eingeheizt“ sagt mir die türkische Taxifahrerin, als sich mich im Indienoutfit sieht.

Rückkehr in meine Wohnung. Es ist, als würde ich zu Besuch in meinem früheren Leben sein. So wohne ich also. Schöne Wohnung. So lebe ich also. Wie war das Leben noch mal? ich erinnere mich kaum. Die ersten beruflichen Telefonate. Bin ich der Regisseur, der da einen Bauprobentermin hat? Bin da wirklich ich gemeint. Ich bin doch noch ganz wo anders.

Wie verschieden Leben sein kann. Wie oft man glaubt, dass man weiß, wie das Leben funktioniert. Es gibt so viele Wege, die man gehen kann. Wie oft man glaubt, dass man weiß, wie man glücklich wird. Das Glück ist eine Größe in der Gleichung unseres Lebens, um die wir uns nicht kümmern sollen. Denn es taucht selten dort auf wo man es erwartet. Die Welt ist zu vielfältig, um ihr unsere Sicht vom richtigen Leben aufzusetzen. Was zählt, ist der Augenblick. Die Freiheit von der Sorge um das Glück. Ich schalte nach zwei Monaten mein deutsches Handy ein. Im selben Augenblick klingelt es. Der erste Anruf nach zwei Monaten. Gutes Timing.

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26/27/28/29. November
Der letzte Tag meiner Reise in Delhi war noch man ein kräftiger, fabenfroher, sinnesüberwältigender Aufschlag auf die Reiseeindrücke. Eigentlich habe ich nicht viel erwartet, die meisten Reisenden, die ich traf, beschrieben Delhi als nur anstrengend. Und eigentlich hatte ich schon genug von indischem Rumgeschiebe, Körperkontakt, Geschrei, Preisverhandeln und Abgezocke. Aber nach den fast zu geruhsamen Tagen in Touristen-Kochi war das noch mal eine erfrischende Indienabreibung.

Ein Tag Delhi. Zuerst Old-Delhi, dieses Maximum an indischem Wahnsinn, dieses Überbevölkerungsgewusel, Spice Basar, Wedding Card Basar und Weiß-Der-Teufel-Was-Basar. Menschen in, auf und unter unterschiedlichsten Transport- und Tragevorrichtungen schieben sich aufeinander und untereinander. Jeder Zentimeter zählt, das Zählen auf die Zentimeter ermöglicht erst das Fortkommen. Ohne Zentimeter, ohne Ausnutzen des kleinsten Raumes ist man verloren. Denn man ist nur ein kleiner Mensch im riesigen Getriebe, man hat nur ein paar Zentimeter Raum. (In Indien natürlich Inch, Zehntel-Inch vielleicht)



Also durch die engen Gassen im Fahrradrikscha, über mir bedrohliche Kabelsalate, die den Blick auf das letzte Stücken Himmel verstellen, Tempel, Moscheen, ein Bird-Hospital der Jainisten, Menschen, Menschen, Menschen, alte Mogulbauten, zerfallen, in jedem Raum blütenflechtende, gewürzmessende Inder wie Hausbesetzer in einer Ruine aus vergangenen Zeiten. Stockwerk über Stockwerk. Ganz oben der Blick über den Wahnsinn namens Hauptstadt.

Davor Touristen-Kochi. Seltsame Stadt. Die Tage dort waren recht geruhsam. Aber es war wenig Indien dabei. Nur mittelalterliche vorwiegend weibliche Touristen, die in Art Cafes und schicken Restaurants Pause von ihren Ayurvedabehandlungen und Kochkursen machen. Also wage ich es, um nicht ganz in der Fadesse zu versickern, miete einen Motorroller und werfe mich in den indischen Verkehr. Nach vier Wochen Studium fühle ich mich bereit, auch wenn es wahrscheinlich das Gefährlichste ist, was ich auf meiner bisherigen Reise getan hab.



Man darf nur nicht schüchtern sein. Immer die Lücke füllen. Gefahren wird, wo Platz ist. Nie nachgeben. Und kräftig hupen. Ohne hupen, wäre der indische Verkehr gar nicht vorstellbar. Wer zuerst hupt, hat Vorfahrt. Zumindest unter gleichrangigen Fahrzeugen. Bei einem Bus oder LKW hilft hupen auch nicht viel. Gehupt wird ständig. Es ist die laufende Kommunikationsform. Wie der Tanz der Bienen im Bienenschwarm, oder das Geblöke der Schafe oder Heulen der Hunde in der Nacht. Man hupt, wenn man überholt. (einmal) Man hupt, um sich Platz zu schaffen (mehrmals bis durchgehend), man hupt, wenn man keinen Platz machen will (einmal länger) , oder wenn man sein Einverständnis zu Überholmanövern gibt (einmal ganz kurz). Das sind natürlich nur Richtwerte. Es kann auch auch ganz anders sein. Aber man weiß meistens irgendwie, was gemeint ist. Je verrückter das Überholmanöver, desto penetranter das Gehupe.

Nach der ersten halben Stunde auf meinem Roller schaffe ich es, mich ein wenig zu entspannen, und es fängt an, Spaß zu machen. Nur wenn LKWs oder Busse im Gegenverkehr überholen, wird es unangenehm. Denen ist nämlich egal, ob da ein Motorrad oder Roller oder sonstwas entgegen kommt. Man muss ausweichen, oder abbremsen. Dass man von anderen ständig ausgebremst wird, ist normal. Richtig unangenehm aber wird es, wenn man vom überholenden Gegenverkehr an den Rand gedrängt wird und dann noch einem Schlagloch ausweichen muss. Dann bleibt nur der Straßengraben. Da sind oft auch Leute, die im Weg rumstehen.

So fahre ich zum Cherai-Beach, helfe Fischern, die mit chinsesichen Fischernetzen, diesen Fred-Feuerstein-mäßigen Konstrukten aus verbogenen Ästen, Schnüren und Steinen, fischen, und genieße die Rückfahrt über eine kleine unbefahrene Straße zwischen Strand und Land, voll kleiner Alltagsszenen in diesem im Vergleich zum Rest von Indien ruhigen Kerala.

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