Dienstag, 2. November 2010
30/31. Oktober
Gestern war ich in den Slums von Mumbai. Es war eigentlich gar nicht geplant. Ich hatte alle meine Wertsachen bei mir. Pass, Fotoapparat, Geld, Handy. Ich hab noch immer alles. Und bin um viele Erfahrungen reicher.



Eigentlich wollte ich bloß ein Zugticket nach Goa kaufen. Doch der Typ am Touristenschalter in Victoriastation hatte anscheinend keine Lust zu arbeiten, und meinte, es gäbe keine Tickets mehr. Also machte ich mich auf die Suche nach einem Internetcafe, um nicht doch ev. im Internet Tickets zu erstehen. Dabei sprach mich ein Mann an, Typ zerknautschter IT-Professor, in Wirklichkeit Fremdenführer, der mir beim Ticketkauf weiterhalf. Zuerst gingen wir zu einer anderen Station, wo überhaupt keine Menschen waren und ich nicht eine halbe Stunde anstehen musste. Doch die Frau hinterm Schalter hat es eilig, denn der Schalter schließt in zehn Minuten. Sie schreit herum, wirft mir Formulare hin. Ich höre nicht auf zu lächeln, schließlich muss sie auch lachen. Das funktioniert in Indien immer. Keep friendly. Inder haben viel Selbsthumor und lieben komische Siutionen. Man muss sie nur an der selbst empfundenen Situationskomik Anteil haben lassen.



Ich mag meinen Touristguide. Er ist günstig, sympathisch, erzählt ständig halblustige Witze, fragt danach immer „correct?“ , schlurft durch die Stadt und erzieht mich. Er zeigt mir Mumbai, das ich alleine so nie sehen könnte. Wir nehmen den Zug in die Slums. Riesenspaß!! Die Zugtüren sind offen und man kann sich hinaushängen und durch Mumbai surfen. Ich steh mit den Jungs die ganze Zeit bei der Tür und lehne mich in den Fahrtwind. Mein Professor wirft mir mahnende Blicke zu.



Im Slum bin ich überfordert von der Dichte der Lebensarten und Eindrücke. Man sollte aber nicht zu lange an einem Ort stehen blieben. Wenn man unangenehm angesprochen wird, grüßen und weitergehen. „Keep going“ sagt mit der Professor. Da ich noch immer kein Fotoprofi bin, ist das nicht immer so leicht, da ich oft viel zu lange brauche, um für meine Bilder Belichtungszeit und Farbtemperatur einzustellen.

Das Leben hier kann man nicht bewerten. Es ist einfach so wie es ist. Es ist nicht schlecht. Es ist auch nicht gut. Es ist Normalität für die Menschen. Sie urteilen nicht darüber und scheinen deshalb nicht unglücklich. Nach einiger Zeit löst sich meine Spannung und ich merke, dass es funktioniert. Dass hier Menschen friedlich und lachend auf engstem Raum leben. Ich merke, dass die Menschen im Grunde gut sind. 30 Millionen. Auf diesem, engen Raum. Hindus und Muslims. Ohne das Gute im Menschen, ohne Hoffnung, Respekt und Höflichkeit wäre das nicht möglich. Wir dürfen und vom Schlechten nicht den Blick auf das Gute verstellen lassen.



Abends abhängen mit Travellern in Colaba. Anthropologinnen, Ethnologen, französische Pärchen, Deutsche im Sari, besoffene Engländer. Ein polnischer Schauspieler, der seit neun Jahren in Indien hängen geblieben ist. Die ganze Mischpoche. Tanzen in Club mit Indern. Bollywood-Beats. Mumbai Nights.

Jetzt sitze ich im Cafe Leopold. Der Kellner verarscht mich dich ganze Zeit. Wir haben Spaß miteinander. Ich mag den indischen Humor. Humorlose Menschen sollten erst gar nicht nach Indien kommen.

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